Drei Jahre MATR-Monitoring auf Telegram: Die Rolle der Plattform im rechtsalternativen Online-Aktivismus
Christian Donner, Wyn Brodersen, Maik Fielitz & Michael Schmidt
Was als Versuch begann, die Kommunikationsmuster von Rechtsextremismus & Co. im deutschsprachigen Raum zu verstehen, hat sich zu einem Datenfundus mit Millionen von Nachrichten entwickelt. Das MATR-Monitoring zeigt, dass Telegram für viele Akteure von Rechtsaußen nicht nur Rückzugsraum, sondern auch Scharnier zwischen abgeschotteten Szenen und öffentlichem Diskurs ist. Die Langzeitperspektive offenbart verschiedene Nutzungstypen – von abgeschlossenen Ideologiezirkeln bis hin zu reichweitenstarken Kanälen zur Mobilisierung und Verbreitung von Narrativen. Trotz sinkender Relevanz bleibt Telegram ein zentraler Knotenpunkt für die Distribution von Inhalten und die Steuerung von Sympathisantenströmen. Wie sich die Plattform im Zuge der Deregulierung des digitalen Mainstreams verändert hat, lesen Sie in unserem Radar.
»Willkommen im Infokrieg«. Das war die erste Nachricht, die der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner im Juli 2017 auf seinem Telegram-Kanal absetzte. Zu diesem Zeitpunkt war er einer der ersten, die das Potenzial dieser Plattform für politischen Aktivismus am rechten Rand austesteten; recht exklusiv lud er damals in seine »Telegram Elite« ein.1 Zu einer Zeit, in der die Umsetzung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes seinen Lauf nahm, verstand Sellner, sich Rückzugsräume aufzubauen, und antizipierte damit, dass die Zugänge zu den großen Social-Media-Plattformen bald verschlossen sein könnten. Und in der Tat dauerte es nur zwei weitere Jahre, bis Sellner und die Identitäre Bewegung zunächst von Twitter und dann von Facebook und YouTube gesperrt wurden, weil die Plattformen zu der Einschätzung kamen, dass sie gegen deren Nutzungsbedingungen verstießen.2
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Zeitlinie der Kanalgründungen je Ideologie mit maximal erreichter Subscriberzahl (Erklärung hier).
Als sichere Backup-Option etablierte sich Telegram in rechtsalternativen Kreisen spätestens mit dem Beginn der Corona-Pandemie 2020, als rigoroser gegen Falschbehauptungen auf den Plattformen vorgegangen wurde. Telegram wurde zu einem Ort der Vernetzung und Mobilisierung der Querdenken-Bewegung und der vielen lokalen Protestinitativen, die aus dem Corona-Protestzyklus hervorgingen.3 Zudem wurde die beliebte unidirektionale Kommunikation in Kanälen Experimentierfeld für einen rechtsalternatives Medienspektrum, das sich hier ungebremst entfalten konnte und durch Verlinkungssysteme eine Gegenöffentlichkeit formte, die den Bruch mit den etablierten Medien anstrebte. In einer Zeit, wo sich die großen Tech-Plattformen zu immer mehr Zugeständnissen an schärfere Moderationskriterien genötigt sahen, versprach Telegram maximale Redefreiheit und bot eine App, die privates Messaging und Massenkommunikation direkt verband, ohne dass Algorithmen die Nachrichten ordnen.
In dieser Aufbruchszeit der Plattform begannen wir, unser Monitoring aufzubauen und Muster der Kommunikation langfristig zu untersuchen. Basierend auf einem initialen Startdatensatz und durch die stetige Einbeziehung von häufig verlinkten Kanälen konnten wir über die Zeit ein Register von knapp 2.000 Kanälen aufbauen, die sich rechtsextremen und verschwörungsideologischen Zusammenhängen zuordnen lassen. Über drei Jahre hinweg analysierten wir das kommunikative Handeln dieses Akteursfelds auf der Plattform mit maschinellen Methoden. Wir begannen in einer Phase, in der politische Akteure vom rechten Rand nach wiederholten Sperrungen auf Facebook, YouTube und Twitter, die unter anderem Kanäle der Identitären Bewegung oder rechtsextremer Parteien betrafen, ihren Zugriff auf den digitalen Mainstream vielfach einbüßten.
Telegram galt damals als unverzichtbar, wollte man im rechtsalternativen Milieu etwas zu sagen haben.4 Die zunehmende Deregulierung digitaler Plattformen und die Fragmentierung der digitalen Öffentlichkeit hatten dazu geführt, dass politische Akteure ihre Botschaften in unterschiedlichen, oft weniger moderierten Teilöffentlichkeiten platzieren konnten. Sie bekamen durch die veränderten strukturellen Bedingungen die Möglichkeit, ein breiteres Publikum anzusprechen. Ob sie dieses allerdings erreichen, ist nicht ausgemacht. Wie verändert sich also die Rolle von Telegram im Ökosystem des digitalen Extremismus? Dieser Frage wollen wir nachgehen, indem wir die Netzwerke, Themen und Popularität in einer Langzeitanalyse untersuchen.
Telegram als ein Anker rechtsalternativen Aktivismus
Telegram war Anfang der 2020er Jahre eine der wichtigsten Plattformen für extremistische Milieus. Bereits in einer Studie aus dem Jahr 2020 wurde betont, dass 96 Prozent der einflussreichsten Akteure im Bereich des deutschsprachigen Rechtsextremismus einen Kanal auf Telegram betrieben, wohingegen viele aus dem digitalen Mainstream verbannt wurden oder aus anderen Gründen nicht mehr präsent waren.5 Der Thinktank Cemas zählt Telegram zur wichtigsten Plattform für VerschwörungsideologInnen und Rechtsextreme im deutschsprachigen Raum und betont die Attraktivität der Plattform für gewaltsame Akteure.6 Und auch wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Beschleunigung der Kommunikation über die Messenger-App hilfreich für die Mobilisierung7 und Koordination der Querdenken-Bewegung war. Hier hat sich ein Pool an Accounts und Formaten herausgebildet, die in der Ablehnung der gegenwärtigen politischen Ordnung ihren gemeinsamen Nenner fanden.8
Die auf Textnachrichten ausgerichtete Plattform ordnet ihre Nachrichten nicht in einem Feed über Algorithmen, sondern zeigt Nachrichten chronologisch an. Folgt ein User also einigen Dutzend Kanälen, muss jeder Account-Betreiber regelmäßig posten, um wieder in dessen Bewusstsein zu kommen. Die Plattform verlangt also ständige Aktivität. Zugleich gilt es, ein Netzwerk aufzubauen, das die eigenen Nachrichten stets weiterleitet, damit Reichweite erzeugt wird. So entstehen einerseits Verlinkungsnetzwerke, über die wir die Nähe zwischen Akteuren bestimmen können. Andererseits kann die Aktivität der Accounts Rückschluss darauf geben, wie die Plattform in verschiedenen Milieus angenommen wird, inwiefern das eigene Publikum erreicht wird und wie es um die Milieus selbst steht (beispielsweise über Weiterleitungen, Views und Subscriberentwicklungen).
Im letzteren Fall zeigt unsere Langzeitanalyse, dass wir es mit einem Rückgang der Aktivität von verschwörungsideologischen Milieus zu tun haben. Die Nachrichten brechen im Verlauf der vergangenen drei Jahre etwa um ein Drittel ein. So lässt sich auch ein Rückgang von Pandemie-bedingten Phänomenen wie Querdenken und QAnon nachverfolgen und dass damit auch die Zugkraft von verschwörungsideologischen Erzählungen nachlässt. Außerdem sehen wir relevante Akteure wie den österreichischen Fernsehsender AUF1, die sich über die Zeit mehr und mehr in rechtsextremen Gefilden vernetzten und trotz hoher Aktivität den verschwörungsideologischen Ursprüngen den Rücken kehren.
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Metrische Entwicklung der Kanäle, Nachrichten und Subscriber (Erklärung hier).
Anders verhält es sich im Bereich des Rechtsextremismus auf Telegram. Trotz leicht sinkender Nachrichtenzahl blieben die Subscriberzahlen in diesen Kanälen konstant oder legten sogar leicht zu. Hier spielt unweigerlich der Erfolg der AfD mit hinein, die mit dem Ausblick auf Posten und Macht auch für reichweitenstarke Telegram-Kanäle interessant wurde. Zwar haben sich deren RepräsentantInnen erst recht spät auf der Plattform aufgestellt.9 Allerdings konnten sie hier von den gewachsenen Strukturen profitieren. So ist es Teil der Medienstrategie der AfD, erfolgreiche Alternativmedien in ihren eigenen Medienformaten zu etablieren, wohingegen diese im Gegenzug Werbung für die AfD machen. Oliver Flesch (41.000 Follower), der dann für den AfD-affiliierten Deutschland-Kurier sendete, ist ein Beispiel für solch eine informelle Allianz. Auch konnte die AfD auf populäre Formate wie AUF1 vertrauen, die der Partei genehme Inhalte produzieren. Hier sendet seit September 2023 der Youtuber Tim Kellner. Seitdem sind seine Followerzahlen auch auf Telegram deutlich gestiegen.
Während die meisten Accounts auf Telegram auch – und teils hauptsächlich – andere Plattformen bespielen und die Bedeutung von Telegram tendenziell abnimmt, da viele Akteure auch wieder auf anderen Plattformen senden können, zeigt die hohe Aktivität doch, dass die Sichtbarkeit auf Telegram weiterhin wichtig ist. Kaum ein relevanter Akteur hat sich von der Plattform zurückgezogen, An diesem Punkt lohnt es sich allerdings zu differenzieren. So haben wir einen deutlichen Bedeutungsverlust bei Chat-Gruppen auf Telegram feststellen können, in denen – im Vergleich zu Kanälen – interaktiv diskutiert werden kann. Diese Funktion war insbesondere für regionale Querdenken-Gruppen wichtig, um sich auf dem Laufenden zu halten. Während auf WhatsApp die Gruppengröße in den frühen 2020er Jahren 256 Mitglieder betrug, ermöglichte Telegram einen synchronen Austausch mit 200.000 Mitgliedern.
Eine mögliche Erklärung in diesem Zusammenhang könnte sein, dass es in linearen Chatverläufen schwer ist, zwischen hilfreichen Nachrichten, abwegigen Kommentaren und Spam zu unterscheiden, was sich negativ auf die Motivation, sich zu beteiligen, auswirken könnte. Da dieser Rückgang bei Gruppen mit vielen englisch-sprachigen Nachrichten sogar noch akzentuierter ist und zeitlich auffällig mit der Übernahme von X durch Musk korreliert, ist eine naheliegende Vermutung, dass diese Rolle als Diskussionsplattform durch andere Plattformen (insbesondere X) mit besserer Feed-Kuration übernommen wurde. Inwieweit sich dies tatsächlich auf die Beteiligung auswirkt, bleibt allerdings offen.
Die besondere Rolle von Alternativmedien in der Akteursentwicklung
In der Vergangenheit hatten wir konstatiert, dass sich die Verbindungen zwischen den von uns identifizierten Milieus über die Zeit verfestigt haben.10 Wir finden diverse Brückenbauer wie zum Beispiel AUF1 und Ignaz Bearth, die zwischen verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieus vermitteln. Die für die Plattform prägnante Praxis der schnellen und häufigen Weiterleitung von Nachrichten führt so dazu, dass die Follower einer bestimmten Seite sehr häufig auch jene von anderen angezeigt bekommen. So entwickeln sich Verlinkungsnetzwerke, die die ideologische Nähe und thematischen Überschneidungen verschiedener Strömungen zueinander widerspiegeln. Zugleich finden wir eine hohe Binnenvernetzung vor, insbesondere in Kontexten, die sich durch eine thematische Homogenität auszeichnen, wie etwa bei QAnon, Corona-Desinformationen, Esoterik, dem extrem rechten Spektrum und Verschwörungsideologien. Im Gegensatz dazu lassen sich hohe In-Degrees insbesondere bei Kanälen aus dem pro-russischen Umfeld feststellen. Deren Inhalte werden besonders häufig von anderen ideologischen Milieus geteilt, während externe Inhalte deutlich seltener hierher importiert werden. Eine auffällige Rolle spielen in diesem Zusammenhang Kanäle aus dem Neonazi-Umfeld, da sie Inhalte aus den pro-russischen Propagandakanälen in den vergangenen drei Jahren durchschnittlich mehr als 100 mal häufiger weitergeleitet haben als umgekehrt.
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Das Weiterleitungsverhalten politischer Milieus heruntergerechnet auf die Anzahl der eigens verfassten Nachrichten (Erklärung hier).
Doch wie haben sich die Kommunikationsnetzwerke der untersuchten Akteure über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg entwickelt? Ausgehend von unserem Register öffentlich kommunizierender Telegram-Kanäle analysieren wir die Verbindungen zwischen Akteuren, wie sie sich in ihren gegenseitigen Referenzen zeigen – insbesondere dort, wo milieuspezifische Grenzen überschritten oder aufrechterhalten werden.
Solche Barrieren lassen sich etwa bei Kanälen des russischen Imperialismus beobachten. Diese vertreten nicht nur eine eindeutige Position zum Angriffskrieg, sondern propagieren offen den Aufbau eines neuen russischen Reichs. Innerhalb des rechtsalternativen und verschwörungsideologischen Spektrums auf Telegram nehmen sie jedoch eine eher periphere Position ein. Ähnliche Muster zeigen sich bei Kanälen aus dem neonazistischen und neurechten Milieu sowie bei den sogenannten Preppern. Dies ist wenig überraschend, da diese Gruppen auch in metrischer Hinsicht (Anzahl der Kanäle, Nachrichten und Abonnenten) zu den Schlusslichtern zählen.
Zentrale Knotenpunkte, die hingegen relativ ungehemmt ein breites Spektrum verschiedener Akteure erreichen, sind hingegen Kanäle von Alternativmedien wie AUF1 oder Uncut_News. Dabei verlaufen die Grenzen zwischen professionell organisierten Redaktionen und reichweitenstarken Einzelakteuren zunehmend fließend, wie das Beispiel Lionmedia zeigt. Dahinter steckt laut Angaben des WDR lediglich eine Einzelperson,11 der Kanal weist im analysierten Netzwerk jedoch Verbindungen in nahezu alle ideologischen Milieus auf.
Während die ideologischen Verbindungen über die Zeit hinweg recht konstant sind, sehen wir bei den Subscribern auf der Account-Ebene durchaus Unterschiede in der Entwicklung. Zunächst ist es wichtig zu verstehen, dass zu Beginn unseres Monitorings viele Accounts sich bereits etabliert hatten auf Telegram und durchaus ein beachtliches Publikum erreichten. Boris Reitschuster war beispielsweise bereits vor 2022 der wichtigste Account innerhalb der untersuchten Milieus. Im Rahmen seiner Berichterstattung zur Pandemie hatte er an Popularität gewonnen, wobei er als »ausgestiegener« Journalist – ähnlich wie Eva Herman oder Milena Preradovic – von einem Abtrünnigen-Mythos lebte, der ihm Authentizität verschaffte.12 Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs nahmen seine Subscriber-Zahlen deutlich ab. Eine mögliche Erklärung wäre, dass dieser Abwärtstrend damit zusammenhängen könnte, dass er sich kritisch gegenüber Putin und dem russischen Regime äußerte. Eindeutig pro-russische Akteure wie die Freien Sachsen und Compact geben hingegen den Ton in der extremen Rechten an. Insbesondere bei Compact fällt auf, dass mit Beginn des Verbotsverfahrens die Popularität deutlich gestiegen ist. Von der AfD schafft es nur der Account von Björn Höcke im Frühjahr 2024 in die Top 10 auf Ideologieebene.
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Entwicklung der Followerzahlen im Zeitverlauf von September 2022 bis August 2025 (Erklärung hier).
An der Popularität vieler Alternativmedien sowie rechtsalternativen Influencern wie AUF1, Uncut_News und Eva Herman lässt sich bereits erkennen, dass die Plattform ein wichtiges Vehikel ist, um die eigenen Inhalte zu verbreiten und auch um Informationsangebote abseits von Telegram zu bewerben. Wir verstehen unter Alternativmedien digitale Nachrichtenangebote, die zum einen durch Selbstbeschreibung oder redaktionelle Strukturen erkennbar journalistisch ausgerichtet sind und regelmäßig aktuelle, nicht-fiktionale Inhalte in Textform bereitstellen, und die zum anderen ein Selbstverständnis als ‚Alternative‘ zum politischen Mainstream artikulieren, das sich in ihrer Außendarstellung widerspiegelt.13 Hier finden sich Akteure, die sich selbst als Content Creator verstehen, wohingegen andere sich darüber hervortun, Nachrichten von anderen zu aggregieren und/oder zu kommentieren.
In den vergangenen Jahren ist der Einfluss rechtsalternativer Medien auf den öffentlichen Diskurs im Allgemeinen stetig angewachsen. Speziell auf Telegram entwickeln sich auch viele neue Projekte, hingegen stagniert die Gesamtreichweite. Dies könnte für eine gewisse Sättigung sprechen, da die Zugewinne vor allem auf Kannibalisierungseffekten basieren. Zugleich könnten auch andere Faktoren – etwa die Rückkehr auf andere Plattformen oder die stärkere Präsenz der Themen in der Öffentlichkeit – die Stagnation auf Telegram erklären. Telegram dient nicht nur der Distribution der eigenen Inhalte, sondern auch der wechselseitigen Verstärkung der Reichweiten. Denn viele Alternativmedien sind zugleich aufeinander angewiesen und stehen doch in Konkurrenz. Sie bringen Self-Made-Entrepreneure hervor, die mit ihrer Kamera vor dem Laptop streamen und Formen des Medienaktivismus featuren, hinter dem ganze Redaktionen stehen. Sie erreichen bei Telegram teils mehrere Hunderttausend UserInnen und prägen über ihre Formate und Informationen das Geschehen auf der Plattform: Sie sind Ankerpunkte der Vernetzung.
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Entwicklung der Subscriber-Zahlen von ausgewählten Alternativmedien von 2022 bis 2025 (Erklärung hier).
Die obige Grafik zeigt, dass die Wachstumsphase bei vielen Alternativmedien bereits vor 2022 weitgehend abgeschlossen war, allerdings neue Projekte wie Apollo News und NIUS, die außerhalb von Telegram bekannt wurden, schnell an Reichweite gewannen. Zugleich zeigt sich, dass Reichweite und die Häufigkeit, wie oft ein Medium referenziert wird, nicht einfach proportional zueinander verlaufen. Wie stark Inhalte kursieren, hängt nicht einfach nur von der Zahl der FollowerInnen oder den direkten Weiterleitungen auf Telegram ab, sondern auch davon, wer die Inhalte verbreitet und in welchen Netzwerken sie anschließen. Ein weiterer Einflussfaktor ist auch die Zielgruppe selbst. Handelt es sich dabei eher um eine passive Leserschaft oder um AktivistInnen, die ein Eigeninteresse daran haben, dass Inhalte weitergetragen werden?. So haben Apollo News, Junge Freiheit und NIUS zwischenzeitlich mehr Weiterleitungen als AUF1, obwohl letzterer Kanal eine über viermal höhere Followerschaft hat als die zuvor genannten.
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Weiterleitungen von Links zu ausgewählten Alternativmedien im Zeitverlauf, von 2022 bis 2025 (Erklärung hier).
Die thematischen Schwerpunkte auf Telegram
Ein verbreitete Annahme in der Auseinandersetzung mit dem deutschsprachigen Telegram-Raum beschreibt die Plattform als Sammelpunkt für konspirative oder extremistische Kommunikationsformen. Mit nüchternem Blick auf die Nachrichten zeigt sich jedoch schnell, dass die thematischen Schwerpunkte so vielfältig sind, dass es maschinelle Mittel benötigt, um sie zu ordnen. Von Aufrufen zu Spenden und Klimawandelleugnung über Bibelzitate und Bewusstseinserweiterung bis hin zu aktuellen politischen Themen und geopolitischen Konflikten bietet Telegram eine breite Palette an inhaltlichen Angeboten für das rechtsdissidente Milieu. Milieuübergreifend wird am häufigsten über politische Themen im engeren Sinne diskutiert. Knapp ein Viertel aller Posts beschäftigten sich im vergangenen Jahr mit nationalen Themen (Staatsausgaben, Migration und der AfD) oder internationalen Angelegenheiten (Nahost-Konflikt, Trumps Wiederwahl, Kritik an der EU). Als eigenständigen Themenkomplex haben wir den russischen Angriffskrieg zusammengefasst, den ungefähr jede zehnte Nachricht adressiert. Aber auch esoterische Themen wie Heilkunde und kosmische Energien finden große Verbreitung.
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Durchschnittliche Verteilung der Themen nach Akteursideologie und Zeitspanne (Erklärung hier).
Während das Themenmodell bereits eine grobe Orientierung darüber bietet, worüber die Akteure kommunizieren, entsteht ein deutlich differenzierteres Bild, wenn auch zeitliche Entwicklungen und Unterschiede zwischen den Akteuren einbezogen werden. Wir sehen in der Gesamtschau einen Anstieg politisierter Diskurse, aufgrund der Heterogenität der Akteure lassen sich auf dieser Ebene jedoch keine Auslöser ableiten. Gehen wir aber auf die Ebene der Akteursideologie, sehen wir bei QAnon zum Beispiel einen deutlichen Anstieg in der Thematisierung von Verschwörungen, was recht eindeutig mit der Debatte um die Epstein-Akten in den USA zusammenhängt, die ihren Höhepunkt im Juli 2025 fand. Im Bereich der populistischen und extremen Rechten sehen wir im Januar 2024 einen eindeutigen Höchststand im Themenbereich der Protestmoblisierung, was direkt mit den Bauernprotesten zusammenhängt, welche von extrem rechter Seite versucht wurden zu instrumentalisieren.
Dieser Befund unterstreicht auch das Aufspringen der Neuen Rechten auf thematisch geeignete Themen, die sonst so gut wie keine mobilisierenden Ambitionen hat. Auch Anti-Konsens-Gruppen14 verbanden im Rahmen der Mobilisierung ihre Kritik an der Regierung mit den Protesten gegen die Kürzungen von Agrarsubventionen. Ebenso lässt sich im neonazistischen Milieu eine thematische Konjunktur des Protests beobachten, die in den vergangenen Monaten wieder deutlich zugenommen hat. Ein genauerer Blick in die Daten zeigt dabei, dass es sich vor allem um die Gegenproteste zu den Christopher Street Days handelt, die vor allem durch ihr aggressives Auftreten in Ostdeutschland mediale Aufmerksamkeit erlangten.
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Themenzusammensetzung nach Akteursgruppen im Zeitverlauf (Erklärung hier).
Gehen wir eine Ebene tiefer, so fällt auf, dass die Thematisierung des (in den Augen vieler Telegram Accounts nicht existierenden) Klimawandels im Juli 2023 lagerübergreifend trendete. Dies hing offenbar mit den öffentlichen Debatten über die hohen Temperaturen in diesem Monat zusammen. Der Juli 2023 wurde als weltweit heißester jemals gemessener Monat eingestuft. Der Zusammenhang mit dem Klimawandel wurde als »Klima-Hysterie« diskutiert. Auffällig ist, das pro-russische Kanäle auf solche Themen gar nicht einsteigen, was, wie auch das Weiterleitungsverhalten, dafür spricht, dass sie weitestgehend losgelöst von dem Rest des Telegram-Kosmos kommunizieren. Wenig überraschend delegitimierten Reichsbürger auch im Frühjahr 2024 die Bundesrepublik erneut als vermeintliche Firma. Auffällig war jedoch, dass die Delegitimierung staatlicher Souveränität in diesem Zeitraum deutlich häufiger vorkam – eine Entwicklung, die sich mit dem Prozessauftakt gegen die Gruppe um Prinz Reuß erklären lässt, bei dem viele Anhänger eher die »BRD« als den eigentlichen Angeklagten im Visier sahen.
Der Punkt Repression war auch in anderen rechtsextremen Kreisen en vogue. So rief die Einstufung der Jungen Alternative als gesichert rechtsextremistisch durch den Verfassungsschutz eine deutliche Spitze in diesem Themensegment hervor. Das Gleiche gilt für das Verbot des Magazins Compact sowie die Aufhebung jenes Verbots im Sommer 2025.15 Schließlich sehen wir auch noch, wie die Neue Rechte im Frühjahr 2023 versuchte, das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel-Regierung strategisch als Thema zu setzen.
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Entwicklung der Ober- und Unterthemen nach Akteursideologie über Zeit (Erklärung hier).
Telegram zwischen Kanalisation und Mainstream
In der Zeit, in der sich Akteure aus dem rechtsalternativen und verschwörungsideologischen Milieu auf Telegram ausbreiteten, gehörten der rebellische Ruf und das konspirative Image der Plattform selbst bereits zum Kern ihrer Markenidentität.16 Nicht nur konnten über die Plattform problemlos Drogen erworben oder kriminelle Aktivitäten live verfolgt werden. Schon zuvor nutzte der Islamische Staat die Plattform rege, um aus dem Nahen Osten Propaganda in die westliche Welt zu senden.17 Auch haben sich über die Plattform rechtsterroristische Subkulturen ausgebreitet, die zu Mord und Totschlag aufriefen und rassistische Gewalttaten feierten.18 Die Idee, dass weitgehend keine Moderation vorgenommen wird, war eine Gegenfolie zu den immer stärker regulierten und sich regulierenden Social-Media-Plattformen, von denen mehr und mehr Akteure verdrängt wurden.19 Laut einer Studie von Cemas wurden zwischen 2020 und 2023 nur knapp vier Prozent der von dem Thinktank beobachteten Telegram-Kanäle eingeschränkt oder gelöscht.20
Telegram selbst hebt immer wieder hervor, dass sie rigoros Accounts löschen, die illegale Inhalte teilen, und veröffentlicht Zahlen hierzu. Insgesamt 27.151.004 Gruppen und Kanäle wurden seit 2015 von der Plattform verbannt (Stand: September 2024) – die meisten von ihnen wegen Child Sexual Abuse Material und terroristischer Inhalte.21 Sukzessive führte Telegram auch Funktionen ein, die dem Arsenal der klassischen Plattformen ähneln. So ließ Telegram 2022 seine UserInnen darüber abstimmen, ob in bestimmten Fällen mit Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet werden solle,22 machte stärkeren Gebrauch von Shadowbanning und zeigte bestimmte Accounts in Suchanzeigen oder Inhalte in Verlinkungen nicht mehr an.23 Auf dem Weg, die Plattform profitabel zu machen, führte Telegram kostenpflichtige Premium-Features ein, die Extrafunktionen bereithalten und von vielen Akteuren in unserem Monitoring genutzt werden. Auch kann Werbung geschaltet werden, welche insbesondere Crypto-Geschäfte bewirbt.
Darüber hinaus finden wir hunderte von Fake-Accounts, die reichweitenstarke Accounts aus unserem Monitoring imitieren und sie mit Crypto-Werbung füllen: ein Symptom der Enshittification der Plattform, die bei weitem nicht die Seriosität ausstrahlt, die Telegram nach außen präsentieren möchte. Trotz eingeführter Werbung und Monetarisierung hat sich die Plattform im deutschsprachigen Kontext kaum als eine massenkompatible Plattform durchgesetzt. Vielmehr sind die Akteure darauf angewiesen, Kommunikationsstrategien zu erproben, um sich von anderen abzuheben. Während manche mit langen Einordnungen des politischen Geschehens Seriosität und Deutungshoheit beanspruchen, setzen andere auf reißerische Ansprachen und hohe Schlagzahl.
Typen der Telegram-Nutzung
So divers wie die Plattform ist, so unterschiedlich sind auch die Stile, die hier gepflegt werden. Um diese Unterschiede der Kommunikation im rechtsalternativen Telegram-Kosmos sichtbar zu machen, haben wir Kanäle anhand ihrer durchschnittlichen Weiterleitungen, monatlichen Aktivität, Textlänge sowie ihres Verlinkungsverhaltens außerhalb von Telegram geclustert. Das Ergebnis zeigt insgesamt sechs unterschiedliche Kommunikationsmuster.
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Profile unterschiedlicher Nutzungstypen von Telegram im Monitoring (Erklärung hier).
Ein erstes Cluster, das wir als das der Commentators verstehen, umfasst besonders aktive Kanäle, die im Schnitt über 800 meist kurze Nachrichten pro Monat veröffentlichen. Zu ihnen gehören etwa der Schweizer Rechtsextremist Ignaz Bearth und die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman, die seit über 15 Jahren eine feste Größe im rechtsalternativen Milieu ist. Deutlich anders verhält es sich im Cluster, die wir idealtypisch als Experts bezeichnen. Diese Akteure veröffentlichen besonders lange Texte und leiten nur selten Beiträge weiter. Stattdessen verweisen sie auf eine Vielzahl externer Quellen. Insgesamt wurden 34 Kanäle diesem Cluster zugeordnet, die mehrheitlich aus dem verschwörungsideologischen oder corona-skeptischen Umfeld stammen. Das Cluster der Aggregators wiederum zeichnet sich durch ein stark ausgeprägtes Weiterleitungsverhalten und eine große Bandbreite an verlinkten Domains aus. Diese Kanäle sind in der Regel weniger bekannt.
Zwei weitere Cluster bestehen aus Kanälen, die wir als Professionals beschreiben. Beide Typen stellen vorwiegend eigenen Content bereit, bewerben (ihre) Shops und verweisen auf Profile in anderen sozialen Medien, leiten jedoch vergleichsweise wenige Inhalte anderer Kanäle weiter. Unterschiede zeigen sich vor allem in der Länge ihrer Beiträge: Nachrichten von Boris Reitschuster oder Oliver Janich sind beispielsweise durchschnittlich deutlich kürzer als jene von AUF1TV oder Ken Jebsen. Gemeinsam ist diesen beiden Gruppen jedoch, dass ihre BetreiberInnen über Telegram hinaus bekannt sind und ein vergleichsweise professionelles Auftreten an den Tag legen.
Warum ein datengetriebenes Clusterverfahren zu greifbaren Erkenntnissen führen kann, zeigt sich besonders deutlich am Cluster der Multimedias. Auffällig ist hier die außergewöhnlich kurze durchschnittliche Textlänge. Mit rund 144 Zeichen pro Nachricht liegen diese Beiträge etwa bei der Hälfte der Zeichenbegrenzung gängiger Microblogging-Dienste. Ein genauerer Blick auf die Kanäle in diesem Cluster zeigt, dass sie anstelle von Text vor allem auf mediale Inhalte setzen, etwa auf Bilder, Videos, Sprachnachrichten oder Textdokumente. Bekannte Vertreter sind Clownswelt oder der ehemalige Schlagersänger Björn Banane, der zunächst in der Querdenken-Bewegung aktiv war und inzwischen für die AfD Wahlkampf betreibt – auch musikalisch.24 In diesen Fällen dienen die Telegram-Kanäle häufig als sekundäres Verwertungsformat eigener Inhalte, die eigentlich für andere Plattformen produziert wurden. Sie fungieren also eher als kommunikatives Begleitmedium ihrer BetreiberInnen.
Die Telegram-Charts von 2022 bis 2025
Für das rechtsalternative Spektrum bleibt Telegram dennoch – oder gerade deshalb – der zentrale Ankerpunkt, auch wenn wir einen leichten Abfall in der Nutzung der Plattform sehen. Die Aktivität des Postens nimmt nämlich um 1,4 Prozent pro Monat ab. Mit Blick auf die Trends sehen wir diese Abwärtsspirale im Bereich von Querdenken. Deren große Kanäle wurden erst inaktiv; und dann ging parallel zum Ausklingen der Pandemie auch das Interesse verloren.. Viele affiliierte Anti-Konsens-Gruppen, die sich über einen Themenwechsel aus dem Strudel ziehen wollten, konnten sich diesem Abwärtstrend nicht entziehen. Hingegen fällt auf, wie sehr wir einen Anstieg von pro-russischen Propaganda-Accounts haben, die von 2022 bis 2025 deutliche Zuwächse generierten. Dies mag daran liegen, dass viele rechtsalternative Kanäle sich als Opposition auf die Seite Russlands geschlagen haben, nachdem das Thema in der bundesdeutschen Politik groß wurde und sich auch Protestbewegungen für Frieden mit Russland einsetzten. Auch deutliche Zuwächse sehen wir bei neurechten Accounts, welche im Zusammenhang mit der Debatte um »Remigration« stehen und neonazistischen Kanälen, die im Rahmen der Mobilisierung gegen die CSDs Interesse erlangten – und dennoch eher isoliert vom Rest des Telegram-Kosmos kommunizieren.
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Durchschnittliche Subscriber-Entwicklung je Ideologie im Untersuchungszeitraum (Erklärung hier).
Betrachtet man die Nachrichten mit der größten Reichweite der letzten drei Jahre, fällt zunächst auf, dass ein Beitrag von LionMediaTV, der recht unspektakulär auf seinen Zweitaccount hinweist und vom Kanal mehrfach selbst geteilt wurde, besonders weit vorn liegt. Reichweitenstarke Beiträge mit über einer halben Million Views thematisieren beispielsweise das Vorgehen der Strafverfolgung im Fall von Michael Ballweg, einem zentralen Akteur der Querdenken-Szene, sowie von Oliver Janich, der 2022 auf den Philippinen verhaftet wurde. Diese Nachrichten tauchen sowohl im Lager der extremen Rechten als auch im Umfeld der Querdenken-Bewegung auf.
Setzt man die Reichweite jedoch ins Verhältnis zu den AbonnentInnen der Kanäle, fällt eine Nachricht aus dem pro-russischen Spektrum besonders ins Auge. Ein Kanal mit nur wenigen hundert AbonnentInnen verschaffte sich mit einer Nachricht über die pro-russischen Proteste auf dem Prager Wenzelsplatz im Herbst 2022 eine Reichweite von weit mehr als 300.000 Views. Die Nachricht wurde unter anderem vom ehemaligen NPD-Mann Carsten Jahn weitergeleitet, der im vergangenen Jahr für die AfD ein Stadtratsmandat in Sachsen-Anhalt gewann. Unter dem Namen Team Heimat betreibt er Kanäle auf Telegram und YouTube mit derzeit rund 70.000 bzw. über 230.000 FollowerInnen. Das Beispiel verdeutlicht, wie stark sich die Reichweite einer einzelnen Botschaft vervielfachen kann, wenn sie von großen Kanälen geteilt wird.
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Die zehn reichweitenstärksten Posts im Zeitraum von September 2022 bis August 2025, gestaffelt nach ideologischer Prägung (Erklärung hier).
Was bleibt vom Telegram Hype? Rückblick und Ausblick
Dass man die Wahrheit auf Telegram findet, war eines der großen Versprechen, das in den von uns untersuchten Milieus viele für bahre Münze genommen haben. Doch in Zeiten der Deregulierung verliert Telegram seine USPs. Viele der ehemaligen ExilantInnen haben inzwischen wieder Fuß in den etablierten sozialen Medien gefasst. Zugleich zeigt sich – wie oben erläutert – schon seit einiger Zeit eine deutliche Entzauberung des Untergrund-Mythos, verbunden mit wachsenden Anzeichen von Regulierungs- und Konformitätsdruck. Nichtsdestotrotz hat Telegram in rechtsalternativen und verschwörungsideologischen Kontexten eine kaum zu ersetzende Rolle, die sich in vier Vorzügen ausdrückt:
- Information, Koordination, Navigation: Politische Akteure nutzen die Plattform, um ihre Follower effektiv in dem verästelten Ökosystem des rechtsalternativen Online-Aktivismus über Plattformen hinweg zu lotsen, um Inhalte zu konsumieren und politischen Aktivismus zu koordinieren. Dies zeigt sich in der hohen Verlinkung von externen Diensten und der besonderen Rolle in der Mobilisierung zu Protesten.
- Aggregation: Ein großer Teil des Traffics auf Telegram teilt Nachrichten und kommentiert sie. Da die Plattform ohne Algorithmen auskommt, gibt es einen Bedarf an Kuration von relevanten Nachrichten aus dem eigenen Kosmos. Relevante Accounts verstehen sich als Servicedienstleister und erarbeiten sich als (Alternativ-)Medienspiegel Reichweite.
- Gemeinschaftsbildung: Das Teilen von Nachrichten ist ungemein wichtig für die eigene Sichtbarkeit. Denn die Interaktion signalisiert eine gewisse Nähe mit dem Urheber einer Nachricht oder zumindest Offenheit zum Diskurs.
- Backup: Das Sichern von Inhalten ist eine nicht zu unterschätzende Funktion von Telegram. Die Plattform verspricht Stabilität, und begeht man keine Straftaten, ist das Eingreifen in das eigene Archiv äußerst unwahrscheinlich. Während viele den Verlust von Daten auf den großen Plattformen beklagen, legen viele auf Telegram Zweitaccounts an, um doppelt sicherzugehen, dass ihre Inhalte zugänglich sind.
Für die meisten NutzerInnen ist Telegram nur einer von vielen Messengern auf ihrem Smartphone. In dem von uns untersuchten Milieu hat die Plattform jedoch im Laufe der Jahre eine weitaus größere Bedeutung erlangt. Telegram ist mehr als nur eine Ausweichoption. Die Plattform hat eigene Kommunikationsmuster und eine Kultur hervorgebracht, in der Aktivität Erfolg verspricht. Zwar ist die Nutzung inzwischen leicht rückläufig, doch welche Rolle Telegram künftig im rechtsalternativen Kommunikationsumfeld spielen wird, bleibt abzuwarten. Wir werden diese Entwicklungen weiter analytisch begleiten.
Zitationsvorschlag: Christian Donner, Wyn Brodersen, Maik Fielitz & Michael Schmidt, »Drei Jahre MATR-Monitoring auf Telegram. Die Rolle der Plattform im rechtsalternativen Online-Aktivismus«, in: Machine Against the Rage, Nr. 8, Spätjahr 2025, DOI: 10.58668/matr/08.1.
- So bezeichnete Sellner seine FollowerInnen, denen er auf der Plattform exklusive Inhalte jenseits des digitalen Mainstreams versprach. Bis heute heißt der Kanal »Martin Sellner [TELEGRAMELITE]«.
- Zur Bedeutung der Verbannung der Identitären Bewegung aus dem Big-Tech-Universum siehe Maik Fielitz, »Identitarians Versus Big Tech. The Limits of Digital Metapolitics«, in: José Pedro Zúquete & Riccardo Marchi (Hg.), Global identitarianism (London: Routledge, 2023), S. 42–48.
- Siehe Heidi Schulze & Julian Hohner, »Far-Right Conspiracy Groups on Fringe Platforms. A Longitudinal Analysis of Radicalization Dynamics on Telegram«, in: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies, Nr.4, Jg. 28 (2022), S.1103–1126.
- An diesem Punkt möchten wir eine kurze Reflexion über Begrifflichkeiten einfügen. Nicht nur uns fällt es schwer, in den hybriden ideologischen Milieus für eine sprachliche Klarheit zu sorgen, die der Komplexität des Gegenstands gerecht wird. Wir starteten mit dem Terminus der Demokratiefeindlichkeit, welches ein scharfes Schwert in der politischen Auseinandersetzung ist und Akteure unter einen Generalverdacht stellt, die sich in Grauzonen bewegen oder für die Transgression ein zentrales Stilmittel ist. Oft hantierten wir später mit dem Terminus rechtsalternativ, da er verschiedene Dimensionen abdeckt, allerdings auch hier einige eindeutig extremistische Akteure wohl in einem besseren Licht erscheinen lässt. Nicht nur ändern sich die politischen Kontexte, auch passen die Akteure ihre ideologische Schwerpunktsetzung an. Das kann taktische Gründe haben. Es kann aber auch daran liegen, dass – bedingt durch den milieuübergreifenden Austausch auf dieser Plattformen – die Akteure sich unterschiedlicher ideologischer Grundlagen bedienen. Auch wenn sich ideologische Facetten in der Theorie einigermaßen trennscharf unterscheiden lassen, sind wir in der empirischen Praxis häufig mit inkohärenten Inhalten und Kommunikationsformen konfrontiert. Insbesondere Peripheriebereichen ist die deutliche politische Betätigung nicht immer nachzuweisen. Dies ist auch nicht unser Anspruch: Vielmehr untersuchen wir auch die Resonanzräume, die sich über Verlinkungen der Akteure ergeben.
- Siehe Maik Fielitz & Karolin Schwarz, Hate not Found?! Das Deplatforming der extremen Rechten und seine Folgen, Forschungsbericht des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (Jena, 2020), online abrufbar hier.
- Siehe Josef Holnburger, Chronologie einer Radikalisierung. Wie Telegram zur wichtigsten Plattform für Verschwörungsideologien und Rechtsextremismus wurde, Report von Cemas (Berlin, 2023), online abrufbar hier.
- Siehe Pablo Jost & Leyla Dogrue, »Radical Mobilization in Times of Crisis. Use and Effects of Appeals and Populist Communication Features in Telegram Channels«, in: Social Media + Society, Nr. 3, Jg. 9 (2023), online hier.
- Siehe Kilian Buehling & Annett Heft, »Pandemic Protesters on Telegram. How Platform Affordances and Information Ecosystems Shape Digital Counterpublics«, in: Social Media + Society, Nr. 3, Jg. 9 (2023), online hier.
- Der erste AfD-Account wurde von der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag ins Leben gerufen ( am 5. Juli 2019). Es folgte der Account der AfD-Delegation in der EU (27. Nov. 2019). Hinzu kamen Accounts von Beatrix von Storch, Stephan Brandner und Petr Bystron sowie diverse lokale Accounts. Die ersten zwei offiziellen Kanäle der Bundes-AfD (AfD Brennpunkt und AfD Kompakt) gingen parallel am 20. April 2020 online.
- Siehe Christian Donner, Holger Marcks & Harald Sick, »Sommer 2024: Drei Wahlen und ein Terrorfall«, in: Machine Against the Rage, Nr. 7, Herbst 2024, online hier.
- Siehe Helene Fröhmcke & Florian Flade, »Der Deutsche und der QAnon-Kult«, auf: Tagesschau, 31. Jul. 2024, online hier.
- Zur (Kipp-)Figur des Renegaten siehe Carolin Amlinger, Nicola Gess & Lea Liese, »Renegaten. Konjunktur einer Kippfigur«, in: Mittelweg 36, Heft 1, Februar/März 2023.
- Angelehnt an Kilian Buehling & Annett Heft, »Pandemic Protesters on Telegram. How Platform Affordances and Information Ecosystems Shape Digital Counterpublics«, in: Social Media + Society, Nr. 3, Jg. 9 (2023), online hier; sowie Annett Heft, Eva Mayerhöffer et al., »Beyond Breitbart. Comparing Right‐Wing Digital News Infrastructures in Six Western Democracies«, in: Policy & Internet, Nr. 1, Jg. 12 (2020), S. 20–45, online hier.
- Unter Anti-Konsens-Gruppen verstehen wir Gruppen ohne klare Zielsetzung. Sie setzen ihre Akzente alternierend zu dem, was als stark grün geprägter Mainstream wahrgenommen wird. Viele haben sich aus Querdenken-Gruppen heraus entwickelt.
- Siehe Franziska Martini, Christian Donner et al., »Bruchstellen im Mosaik. Das Compact-Verfahren im Spiegel der rechtsalternativen Szene«, in: Machine Against the Rage, Nr. 8, Spätjahr 2025, online hier.
- Siehe Wyn Brodersen & Lena-Maria Böswald, »Maßnahmen gegen Hass im Netz: Das Wichtigste aus dem Sommer 2024«, in: Machine Against the Rage, Nr. 7, Herbst 2024, online hier.
- Siehe Ahmad Shehabat, Teodor Mitew & Yahia Alzoubi, »Encrypted Jihad. Investigating the Role of Telegram App in Lone Wolf Attacks in the West«, in: Journal of Strategic Security, Nr. 3, Jg. 10 (2017), S. 27–53.
- Siehe Jakob Guhl & Jacob Davey, A Safe Space to Hate. White Supremacist Mobilisation on Telegram, Report des Institute for Strategic Dialogue (Berlin, 2020), online abrufbar hier.
- Siehe »Germany Fines Telegram For Failing To Comply With Online Content Moderation Law«, auf: Counter-Extremism Project, 21. Okt. 2022, online hier.
- Siehe Josef Holnburger, »Chronologie einer Radikalisierung«.
- Vgl. »Telegram Moderationsübersicht«, auf: Telegram, o.A., online hier.
- Siehe Markus Reuter, »Telegram fragt Nutzer:innen: Wieviel Überwachung soll’s denn sein?«, auf: Netzpolitik, 30. Aug. 2022, online hier.
- Siehe »Telegram Global Search Has Been Changed«, auf: Telegram Info, 4. Okt. 2024, online hier.
- Siehe Maik Fielitz et al., Social-Media-Partei AfD? Digitale Landtagswahlkämpfe im Vergleich, OBS-Arbeitspapier 73 (Frankfurt am Main, 2024), online abrufbar hier.