Deine Kammer, meine Kammer
Alternative Plattformen: Fluch oder Segen für den öffentlichen Diskurs?

Die Übernahme der Plattform Twitter – nun X – durch Elon Musk mag deren Popularität wenig geschadet haben. Zweifellos genutzt hat sie jedoch Konkurrenten wie Mastodon, Threads und insbesondere Bluesky. Letztere Twitter-Alternative verzeichnete Ende 2024 ein sprunghaftes Wachstum auf bis zu 40 Millionen NutzerInnen, mit seither leicht sinkender Tendenz. Treiber dieses Wachstums war der sogenannte X-odus (oder auch: eXodus), also die Flucht einiger NutzerInnen von der Plattform Twitter bzw. X.
Diese Flucht stellt einen Akt des Boykotts dar. NutzerInnen protestierten so gegen die Übernahme ›ihrer‹ Plattform durch eine politisch streitbare Figur wie den (zumindest zeitweise) lautstarken Trump-Unterstützer Musk. Besonders empörte dabei die umgehende Lockerung der Moderationsregeln durch den neuen Besitzer, etwa hinsichtlich Fragen der Migration oder Geschlechtsidentität. Dies wurde als eine Art Entfesselung rechter bis rechtsextremer Inhalte und Akteure beschrieben.
Der eXodus war damit geprägt von einer politischen Asymmetrie: Es waren vor allem linksstehende Personen, die X den Rücken kehrten (darunter viele JournalistInnen und AkademikerInnen). Diese Asymmetrie prägte umgekehrt auch den Plattformfavoriten der Geflohenen: Bluesky kann als Hort des eher linken, zum Teil weit linksstehenden Diskurses charakterisiert werden.
Jedem Stamm sein Revier?
Interessanterweise stellt der eXodus ein Spiegelbild des wenige Jahre früher beobachtbaren Exodus rechtsstehender Social-Media-Nutzer zu alternativen, aber eben eher rechts konnotierten digitalen Plattformen wie Parler, Gab, Gettr oder Truth Social dar. Diese ›rechten Blueskys‹ florierten Anfang der 2020er Jahre, als eine striktere Moderation von Inhalten auf etablierten Plattformen wie Facebook, Twitter und YouTube von rechten NutzerInnen als Zensur empfunden wurde. Parler & Co. positionierten sich explizit als »Free Speech-Plattformen«, auf denen Aussagen und Forderungen ausgesprochen werden dürfen, die auf den etablierten Plattformen potentiell entfernt oder eingeschränkt worden wären.
Links wie rechts haben sich somit nun Alternativen zu den großen Plattformen etabliert, die mehr oder weniger bewusst und offen als digitale Echokammern – oder anders formuliert: politisch homogene Rückzugsräume – fungieren. Es stellt sich die Frage: Ist es ein Fluch für den öffentlichen Diskurs oder vielleicht sogar eher ein Segen, wenn die Plattformlandschaft tribalistisch sortiert ist?
Zunächst ist festzuhalten, dass die politische Plattformfragmentierung der Popularität der etablierten Plattformen keinen Abbruch tut. Der Digital News Report 2024 des Reuters Institute, der Befragungsdaten in 47 Ländern sammelt, zeigt beispielsweise über die letzten zehn Jahre beständig einen Anteil von etwa elf Prozent der Befragten, die Nachrichten auf Twitter/X konsumieren. Eine Umfrage in den USA ergab, dass sich seit der Musk-Übernahme AnhängerInnen der Republikaner auf X deutlich wohler fühlen als AnhängerInnen der Demokraten. Genutzt wird die Plattform jedoch von BürgerInnen beider politischer Lager.
Wenn aber die etablierten Plattformen von Personen aller politischen Ausrichtungen genutzt werden, worin besteht dann der Zweck der politisch homogenen ›Nebenplattformen‹? Ist es vielleicht sogar ein Vorteil, dass die politisch besonders einseitig Tickenden sich auf separaten Plattformen selbst isolieren? Nur wenige Menschen sehen schließlich, was auf Truth Social oder Bluesky passiert. Das könnte möglicherweise, so eine Hypothese, die (affektive) Polarisierung der öffentlichen Debatte dämpfen. Und der amerikanische Kommentator Josh Barro postulierte jüngst gar provokativ, Bluesky sei eine Art »Sicherheitskuppel« (containment dome) für die verrücktesten Ideen der Linken.
Ein Gegenargument zu diesen Hypothesen fokussiert nicht auf die bloße Fragmentierung, sondern verweist auf qualitative Aspekte der Nutzerzusammensetzung alternativer Plattformen. Dort versammeln sich nämlich gerade nicht durchschnittliche, mäßig politisch interessierte und engagierte BürgerInnen, sondern vielmehr die VordenkerInnen und AktivistInnen beider politischer Lager. PolitikerInnen, NGO-VertreterInnen, JournalistInnen, Influencer – für sie ist das Bespielen der alternativen Plattformen regelrecht notwendig, da hier die MeinungsmacherInnen ausfechten, was rechts bzw. links en vogue ist, was neu, was provokativ, was mutig. Das gilt in den USA für die Trump-Trutzburg Truth Social ebenso wie für die links-progressive Fluchtburg Bluesky.
Mögliche Gefahren der Fragmentierung
Es ist jedoch nicht gesund für eine politische Bewegung, wenn deren MeinungsführerInnen ihr Denken in Echokammern ordnen. Denn diese zeichnen sich durch einen Mangel an Perspektivenvielfalt aus – und somit auch durch einen Mangel an Herausforderung und Widerspruch, also an Wettbewerb um die besten Ideen. Zugleich gewinnen in politisch homogenen Online-Räumen jene an Aufmerksamkeit und Prestige, die besonders emotionalisieren oder gar radikal auftreten. Dies wiederum kann auch die moderaten VertreterInnen einer politischen Bewegung hin zu eher randständigen Ideen und Forderungen lenken.
Nicht zuletzt sind solche Echokammern auch eine Petrischale der Misinformation. Schließlich zeichnet sich solche häufig dadurch aus, dass sie politisch bequem, aber verkürzt, einseitig und verzerrt ist. Links wie rechts verbreiten sich damit Halb- und Unwahrheiten – ausgerechnet unter jenen, die als IdeengeberInnen und TaktsetzerInnen einer politischen Bewegung wirken.
Zugespitzt ließe sich vermuten: Durch den digitalen Rückzug in politisch homogene Diskursräume werden Bewegungen extremer und – salopp gesagt – auch dümmer. Da der rechte Exodus in Richtung Parler & Co. nun schon ein paar Jahre zurückliegt, lässt sich am Beispiel der USA recht gut beobachten, was dies mit dem republikanischen Lager gemacht hat.
Daraus ließe sich, im Umkehrschluss, die These ableiten, dass der eXodus und das Florieren von Bluesky eine Herausforderung für die Qualität der Argumente und Programmatik im linken Lager darstellen dürfte – in den USA wie auch in Deutschland. Das Zusammentreffen der Denkformen, die in den jeweiligen Echokammern überdrehen, in der allgemeinen öffentlichen Debatte dürfte wiederum die affektive Polarisierung weiter anheizen, statt sie zu beruhigen.
Prof. Dr. Christian P. Hoffmann ist Medienwissenschaftler an der Universität Leipzig, wo er den Lehrstuhl für Kommunikationsmanagement hält, akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communication sowie Co-Direktor des Center for Digital Participation.