
Sommer 2024: Drei Wahlen und ein Terrorfall
Welche Entwicklungen gab es im vergangenen Quartal in den rechtsalternativen Milieus? Im Radar teilen wir wie immer zentrale Ergebnisse unseres datenbasierten Monitorings und analysieren die sich abbildenden Trends. Heraus sticht diesmal, dass die anstehenden Landtagswahlen zwar als Thema auf Telegram präsent sind, aber nicht übermäßig viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Geprägt sind die Themen mitunter durch die Anschläge in Mannheim und Solingen sowie durch empfundene Repression und anderweitige Bedrohungen. Aber auch wie sich die Kommunikationsnetzwerke im untersuchten Akteursspektrum entwickeln, welche Inhalte im Sommer besonders gut gingen und welche Akteure an Popularität gewannen oder verloren, zeigen die aktuellen Monitoringergebnisse, mit denen ein zweijähriger Beobachtungszyklus schließt.
Der diesjährige Sommer entlässt die Republik in eine ungewisse Zukunft. Spätestens seit der Europawahl im Juni, bei der die AfD beachtlich abschnitt, ist insbesondere das linke Lager verunsichert.1 Nun, drei Landtagswahlen später (im September abgehalten in Brandenburg, Thüringen und Sachsen), gar der Schock: Die Partei, gegen die noch im Frühjahr bundesweit massiv mobilisiert wurde, landete überall bei etwa 30 Prozent; zusammen mit dem BSW kommen die populistischen und extremistischen Kräfte gar auf Mehrheiten oder kratzen an ihnen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass im Sommer die Migrationsdebatte neu entfacht wurde, nachdem es zunächst Ende Mai in Mannheim und im August in Solingen zu islamistischen Terroranschlägen gekommen war. Auch der Krieg in der Ukraine, um den herum viel russische Propaganda stattfindet, spielt hier eine Rolle. Die Verschiebung in den Parlamenten hin zu den eher prorussischen Parteien dürfte denn auch Folgen für außenpolitische Debatten haben.2 Aufregung gab es auch um das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins, das rechterseits die Rede über staatliche Repression nährte. Nachdem das Verbot im August vom Bundesverwaltungsgericht teilweise ausgesetzt wurde,3 bleibt das Thema mindestens bis zur Hauptverhandlung im Februar auf dem Tisch.
Was bisher geschah: Politischer Kontext der Kommunikation
Hatte bereits nach der Pandemie das Migrationsthema rechtsaußen wieder angezogen, wurde es zunächst mit den Anschlägen in Mannheim, dann in Solingen in der breiteren Öffentlichkeit präsenter.4 Diese Entwicklung spiegelt sich durchaus auch international, insofern die Debatte über eine EU-Asylreform ebenso in anderen Ländern Auftrieb erhielt. Ausschreitungen wie die in England zeigen, wie Fälle migrantischer Gewalt die europäischen Gesellschaften vor eine Zerreißprobe stellen, wobei sie auch über Grenzen hinweg wahrgenommen und von Rechtsaußen aufgegriffen werden.5 In Deutschland kommt noch die Debatte hinzu, ob zuletzt das Problem des islamistischen Hasses nicht vernachlässigt wurde. Denn auch wenn der Solinger Anschlag (wie auch der in Mannheim) von einem einsamen Wolf verübt wurde, lebt solch »führerloser Widerstand«, der mitunter als stochastischer Terrorismus gefasst wird, von der organisierten Verbreitung von Gewaltaufrufen, die dann individuell interpretiert und umgesetzt werden.6 Die Frage, wie sich Hass und Hetze in (kategorische) Gewalt übersetzen, stellt sich also im islamistischen ebenso wie im rechtsextremen Phänomenbereich. Ob die Aufmerksamkeit dabei wirklich vor allem auf Letzterem liegt, wie man rechterseits beklagt, sei dahingestellt. Die Annahme, dass die Gefahr des Islamismus verharmlost würde, ist hier jedenfalls zentral in der Agitation.7
Zweifellos aber steht Hass von Rechtsaußen besonders im politischen Fokus. Dafür steht auch eine bundesweite Razzia im Juni, bei der über 70 Wohnungen wegen Hasspostings durchsucht wurden. Mehr als die Hälfte der Fälle ist dem rechtsextremen Bereich zuzuordnen, wozu auch Morddrohungen gegen Politiker*innen gehören.8 Für Aufsehen sorgten zudem Berichte zum Einfluss russischer Propaganda in Deutschland, deren Narrative in den letzten Jahren mehr Zustimmung erfahren haben.9 Allein zwischen Mai 2023 und Juli 2024 soll Russland 8.000 Desinformationskampagnen gestartet haben, davon 30 Prozent in Deutschland, mit dem Ziel, AfD und BSW zu stärken sowie Zukunftsängste in der Bevölkerung zu schüren.10 Gleichwohl sind die Reaktionen auf solche Einflüsse eine zweischneidige Angelegenheit. So erregen innenpolitische Maßnahmen gegen Hass im Netz im Allgemeinen die Gemüter und werden, keineswegs nur von Rechtsaußen, als repressive Eingriffe in die Meinungsfreiheit oder gar Zensur missliebiger Meinungen kritisiert.11 Nicht nur in den USA, auch hierzulande, entwickelt sich die Frage nach der Regulierung von (Hass-)Inhalten in den sozialen Medien zunehmend zu einem Konfliktfeld.12
Wer mit wem kommuniziert: Netzwerke auf Telegram
Wurde bisher der Kontext beschrieben, in den das kommunikative Treiben der von uns untersuchten Akteure fällt, stellt sich nun die Frage, was vor diesem Hintergrund mit ihren Netzwerken geschah. Hier ist zunächst bemerkenswert, dass das Weiterleitungsverhalten der rund 2.000 erfassten Kanäle, wie wir noch genauer sehen werden, weiter rückläufig ist. Und das trotz vieler Ereignisse, aus denen das rechtsalternative Spektrum Kapital schlagen kann, und der drei Landtagswahlen, bei denen die AfD besonders im Rampenlicht stand. Dass deren Kanäle sich ebenso wie die der Freien Sachsen in der heißen Phase des Wahlkampfs befanden, hat zumindest bis zum Datenstopp Ende August den allgemeinen Kommunikationsverkehr nicht signifikant angehoben. Durchaus aber werden im Weiterleitungsnetzwerk einige Wahlkampfspezifika auf der Mikroebene sichtbar. So herrscht – wenn auch wegen der direkten Konkurrenz nicht verwunderlich – Funkstille zwischen den Freien Sachsen und der sächsischen AfD. Auch fällt auf, dass die meisten offiziellen AfD-Accounts eher selten in stärkerem Maße weitergeleitet werden, abgesehen von der AfD Thüringen und ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke. Aber auch die AfD-Accounts selbst leiten Nachrichten anderer Kanäle aus dem untersuchten Spektrum nur sehr selten weiter. Ihre Einbettung ins Netzwerk ergibt sich vor allem aus der affirmativen Rezeption ihrer Inhalte durch die beobachteten Kanäle.
Sehen wir uns das Weiterleitungsverhalten der spezifischen ideologischen Milieus an, fällt auf, dass sich relativ wenig zum letzten Untersuchungszeitraum geändert hat. Die extreme Rechte, QAnon, Corona-Desinformationskanäle sowie Esoteriker*innen und Verschwörungsideolog*innen werden jeweils relativ viel aus dem eigenen Milieu weitergeleitet. Schaut man sich die dominanten Nachrichtenflüsse zwischen den unterschiedlichen Strömungen im Ganzen an, ist interessant, welche Verbindungen zwischen den spezifischen Ideologien dominant sind (also entsprechend ihrer Farbe eingefärbt sind). Aus dem Querdenken-Milieu, der populistischen Rechten und der esoterischen Szene werden jeweils mehr Nachrichten weitergeleitet als man selbst weiterleitet. Sie produzieren also eher den Content, der dann von anderen weiterverbreitet wird. Anders sieht es beispielsweise bei QAnon- oder Corona-Desinformationskanälen aus. Sie leiten selbst eher aus den anderen Milieus weiter als umgekehrt. Bemerkenswert sind auch die Informationsflüsse aus den Kanälen heraus, die pro-russische Propaganda verbreiten. Gerade die Neonazis sind hier übermäßig große Abnehmer entsprechender Nachrichten, obwohl sie einen relativ kleinen Anteil an Kanälen in unserem Monitoring stellen.

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Das Weiterleitungsverhalten politischer Milieus heruntergerechnet auf die Anzahl der eigens verfassten Nachrichten (Erklärung hier).
Interaktionsspitzen: Auffälligkeiten im Posting- und Weiterleitungsverhalten
Der generelle Trend nachlassender Telegram-Aktivitäten, den wir seit Anfang 2022 bereits feststellen können, setzte sich auch im Sommer fort, obgleich er wiederholt von Zwischenkonjunkturen unterbrochen wird.13 So war im Juni und Juli zwar ein Anstieg zu beobachten, doch erreichte im August das Posting- und Weiterleitungsverhalten ein neues Tief. Im Kontext der anstehenden Wahlen, die für Rechtsextremismus & Co. von besonderer Bedeutung waren, ist das bemerkenswert. Insgesamt lassen sich in diesem Quartal keine milieuspezifischen Trends erkennen; Ab- und Zunahme betreffen alle Kategorien. Auch die jeweiligen Anteile am Gesamtaufkommen veränderten sich kaum. Die konspirationistischen Milieus stellen weiterhin um die 40 Prozent,14 während ein Drittel auf typische Rechtsaußenakteure – von der extremen über die populistische Rechte bis zu russlandnahen Kanälen – entfällt. Der Rest ist den Mischformen zuzuordnen, darunter Esoteriker*innen oder Sender von Corona-Desinformation. Dass die hier dazugehörigen Querdenker, wie schon letzte Ausgabe festgestellt, an Bedeutung verloren haben, bestätigt sich auch dieses Quartal. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass sich das inhaltliche Profil mancher Akteure verändert hat, weswegen wir sie seit einer Weile als Anti-Konsens-Gruppen qualifizieren.15

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Geteilte Nachrichten aller Ideologien aufgeschlüsselt nach Monaten und dargestellt in absoluten Zahlen (Erklärung hier).
Schauen wir auf die Ebene der konkreten Akteure, stellt sich die Frage, wessen Inhalte am meisten weitergeleitet wurden. Auffällig ist hier, dass der eigentliche Primus AUF1 im August seine Spitzenstellung einbüßte.16 Stattdessen führt nun der verschwörungsideologische Rosenbusch-Kanal die Statistik an, knapp gefolgt von Eva Herman. Beide performen seit einer Weile erfolgreich, erklommen nun aber neue Resonanzhöhen. Timm Kellner, der im letzten Quartal einen deutlichen Boost erfuhr, hält sich weiter auf hohem Level; ebenso die Freien Sachsen, mit einem weiteren Anstieg im August, im Kontext der Wahlen im Freistaat, bei denen die rechtsextreme Organisation antrat. Deutlich zugelegt hat zudem, neben dem Kopp-Verlag, das Compact-Magazin im August, als dessen Verbot teilweise aufgehoben wurde. Mit Blick auf Milieuspezifika lässt sich sagen, dass Kanäle wie globalchange fast nur im QAnon-Milieu ankommen. Rosenbusch hingegen punktet im gesamten Spektrum, mit leichtem Hang zur extremen Rechten und Kanälen der Corona-Desinformation. Ein ähnliches Profil haben Herman, Reitschuster und AUF1. Auch Ken Jebsen findet breiten Anklang; hier gibt es aber eine Tendenz zu QAnon-Kanälen und zur populistischen Rechten. Kanäle wie von Lausen oder Impfschäden kommen vor allem bei den Mischformen an. Das Compact-Magazin, das eigentlich vor allem von der extremen Rechten weitergeleitet wird, gewann im August in diversen Milieus deutlich an Anteil, vor allem bei Verschwörungsideolog*innen.

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Der Anteil von Weiterleitungen (Out-Degree) ausgewählter Kanäle am Gesamtaufkommen der Weiterleitungen (Erklärung hier).

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Die Verteilung von weitergeleiteten Nachrichten auf Ideologien bei ausgewählten Kanälen (Erklärung hier).
Worüber kommuniziert wird: Themen und ihre Karrieren
Wie immer haben wir maschinelle Methoden genutzt, um die Vielzahl der verbreiteten, meist textbasierten Kommunikate zu analysieren. Auf Grundlage aller Nachrichten aus einem Zeitraum von 15 Monaten (insgesamt über 32 Millionen) wurden 120 Themen errechnet und gelabelt, anhand derer dann die Nachrichten von Juni bis August 2024 genauer untersucht wurden.17 Das Themenmodell hilft zu verstehen, wie sich die inhaltlichen Schwerpunkte der verschiedenen Milieus entwickeln. Im bundespolitischen Bereich wurde vor allem, mit Blick auf die Parteien, über die AfD im Kontext der Wahlen diskutiert, mit Blick auf Internationales über Donald Trump und den US-Wahlkampf. Auch das Migrationsthema ist stark präsent. Als neues Thema modelliert wurde diesmal das der Bedrohung. Neben Problemen der Gewalt, vor allem im Kontext von Migration, wurde hier vor allem über eine wahrgenommene Repression gesprochen, die man in innenpolitischen Maßnahmen gegen rechts, aber auch in der Medienpolitik gegeben sieht. Natürlich spielen auch internationale Konflikte eine Rolle, insbesondere der Krieg Russlands gegen die Ukraine; der Nahostkonflikt ist auch Thema, gemessen an seiner globalen Bedeutung aber erstaunlich wenig diskutiert. Wie immer bewegen auch esoterische Themen viele Kanäle.

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Durchschnittliche Verteilung der Themen in den letzten 15 Monaten und in den drei Monaten von Juni bis August (Erklärung hier).
Im Vergleich zum letzten Quartal fallen keine gravierenden Unterschiede bei der Verteilung der Themen auf. Kleinere Verschiebungen sind vor allem im Bereich der internationalen Politik erkennbar, wo sich die Themen naturgemäß anlassbezogen ergeben. So spielen die anstehenden US-Wahlen dort eine größere Rolle; ebenso waren die Wahlen in Österreich Thema. Auch, dass das Migrationsthema etwas angezogen hat, lässt sich feststellen. Im Zuge des verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetzes ist zudem das Thema Transsexualität hinzugekommen. Im Bereich der Repression wiederum sehen wir, dass die Politik des Innenministeriums stärker thematisiert wurde. Schaut man nun noch genauer auf die verschiedenen Milieus, werden spezifischere Entwicklungen erkennbar, wenn auch keine markanten. So haben die Mischformakteure, aber auch das Reichsbürgermilieu zuletzt das Thema Corona etwas mehr thematisiert, während bei klassischen Rechtsaußenakteuren Themen der Bedrohung ein wenig zugelegt haben. Speziell die russlandnahen Kanäle haben den Krieg in der Ukraine verstärkt im August zum Thema gemacht, vermutlich im Kontext des ukrainischen Überraschungseinmarschs in die russische Region Kursk. Allein bei den Preppern lassen sich keine Veränderungen feststellen.

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Themenentwicklung nach Akteursgruppen (Erklärung hier).
Was die Kurven sagen: Auffälligkeiten in den Thementrends
Wie sieht es nun mit milieuspezifischen Trends bei den Unterthemen aus? Vor dem Hintergrund des Solinger Anschlags, der die ganze Republik beschäftigte, ist es nicht überraschend, dass die Themen Gewalt und Migration in fast allen Milieus (außer bei den Esoteriker*innen) etwas hochgingen. Ein besonders starker Anstieg ist hier vor allem bei der Neuen Rechten festzustellen, was aber auch dadurch bedingt ist, dass sie zuvor das Migrationsthema – vermutlich aus strategischen Gründen, wie wir in der letzten Ausgabe vermuteten – im Vorfeld der Europawahl heruntergefahren hatte. Auch, dass die AfD, die in fast allen Milieus als Hoffnungsträger gilt, direkt vor den drei Landtagswahlen übergreifend wieder stärker Thema war (außer bei den Esoteriker*innen und Prepper*innen), ist selbsterklärend. Beim Thema Repression finden wir einen zwischenzeitlichen Anstieg lediglich bei der Neuen Rechten und im Neonazismus, der im Zusammenhang mit dem (gescheiterten) Verbot des Compact-Magazins stehen dürfte. Interessant ist schließlich noch, dass der Anstieg beim Thema Transsexualität, der das im letzten Radar festgestellte Abflauen des Themas Diversität konterkariert, vor allem auf die Neue Rechte zurückzuführen ist.

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Themenentwicklung innerhalb der Ideologien (Erklärung hier).
Insgesamt ist auffällig, dass die Neue Rechte sich öfters von anderen Rechtsaußenakteuren abhebt. So adressiert sie etwa seit Mai zunehmend das Thema Inflation und Konjunkturkrise. Das könnte der Vorbote einer breiteren Thematisierung sein, kommt der Neuen Rechten doch eine gewisse Vorreiterrolle zu: Immer wieder spricht sie Themen an, die in der Folgezeit von verwandten Akteuren aufgegriffen werden. Interessant ist in diesem Kontext, dass – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung bzw. medialen Darstellung – die Grünen seit April zunehmend weniger im beobachteten Spektrum thematisiert wurden. Im August aber sehen wir eine verstärkte Thematisierung durch die Neue Rechte, was die Frage aufwirft, ob andere folgen werden. Hingegen sehen wir viele parallele Entwicklungen bei der extremen und populistischen Rechten, etwa beim Thema Energiewende, das im August wieder stärker angezogen hatte. Wenig Bewegung sehen wir weiterhin beim Thema Nahostkonflikt. Hatten wir im letzten Radar noch überrascht festgestellt, dass die Querdenker*innen diesen mit einer gewissen Kontinuität adressieren, sehen wir da in diesem Quartal nun eine Abnahme. Stattdessen nimmt hier QAnon nun eine exponiertere Stellung ein.
Die Spitze des Eisbergs: Metrische Trends im Sommer 2024
Blicken wir auf die Entwicklung der Abonnements nach Ideologie, sehen wir fast überall Wachstum oder zumindest Stagnation. Lediglich bei den kleinen Kanälen mit weniger als 20.000 Abos verlieren Anti-Konsens-Kanäle und Prepper marginal. Das steht im Kontrast zu vorangegangenen Trends, wo wir einen höheren Anteil von Negativentwicklungen sehen konnten. Dies könnte Ausdruck einer Tendenz sein, dass Nutzer*innen eher neue Kanäle abonnieren, statt Kanäle abzubestellen, die eher uninteressant sind. Die größten Gewinne konnten genuine Rechtsaußenakteure verbuchen. So legte bei den großen Kanälen die Neue Rechte gut zu, was jedoch auf Martin Sellners Konto geht, der seit dem Correctiv-Bericht zum Potsdamer Treffen und auch wegen seines zwischenzeitlichen Einreiseverbots verstärkt in der Aufmerksamkeit steht. Auch die extreme Rechte und pro-russische Propagandisten verzeichnen bei den großen Kanälen Zuwächse von über vier Prozent, gefolgt von der populistischen Rechten. Bei den kleinen Kanälen waren die Neonazis mit über acht Prozent Zuwachs die großen Gewinner. Ebenso wuchsen die Subscriberzahlen von pro-russischen Kanälen im Untersuchungszeitraum relativ deutlich an. Auch hier folgt die populistische Rechte bei Fuß.

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Entwicklung von Abonnent*innen unterschiedlicher Ideologien von Juni 2024 bis August 2024 (Erklärung hier).
Schauen wir uns die individuelle Follower-Entwicklung an, sehen wir, dass der Verschwörungsideologe Markus Lowien mit einem Zuwachs von 82 Prozent im Untersuchungszeitraum am erfolgreichsten war; womit er allerdings lediglich seine Verluste aus dem vorangegangenen Untersuchungszeitraum kompensiert.18 Zahlreiche Gewinner gibt es hingegen im Bereich der kleinen Kanäle. Beispielhaft seien hier die beiden Neonazikanäle von Active Club Germania (activeclubger) und der Jungen Nationalisten (jungenationalisten) genannt. Ersterer versucht, lokal agierende, rechtsextreme und vor allem auf Kampfsport, Naziästhetik und Sprühaktionen spezialisierte Active Clubs in Deutschland zu vernetzen und Interessierte auf lokale Angebote aufmerksam zu machen. Laut Eigendarstellung sind sie »eher ›Skinhead-Subkultur‹ der 1990er Jahre als Parteijugend. Es ist ein Lifestyle, kein straffer Apparat.«19 Auch die Jungen Nationalisten versuchen Gleichgesinnte zu lokalen Unternehmungen von Neonaziorganisationen zu mobilisieren und bedienen sich hierbei stark der NS-Symbolik. Bei den großen Kanälen baut AUF1 seine Spitzenstellung hinsichtlich der Follower um fünf Prozent aus und nähert sich den 300.000. Den stärksten Zuwachs bei den populären Kanälen hat Timm Kellner mit 13 Prozent. Auch das Compact-Magazin hat einen satten Zuwachs von etwa 17 Prozent zu verzeichnen.20

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Abonnent*innen-Entwicklung einzelner Kanäle auf Telegram von Juni 2024 bis August 2024 (Erklärung hier).
Treibeis auf Telegram: Viral gehende Posts
Auffällig bei den meistgesehenen Beiträgen ist, dass die Verschwörungsideolog*innen wieder hohe Reichweiten erzielen. Viele Posts erreichen hier, zum Teil deutlich, über 300.000 Views, vor allem die ihres Zugpferds AUF1. Dessen erfolgreichste Nachricht war mit fast 400.000 Views eine Doppelmeldung: zum einen, dass die Regierung nur wegen der Angst vor einem Volksaufstand vor einer Impfpflicht zurückgeschreckt sei, zum anderen, dass der Sender mit seinem Konto ins »Exil nach Ungarn« umziehen musste, weil ihm alle Konten in Deutschland und Österreich gekündigt wurden.21 Ähnliche Reichweiten erreicht nur der Koppreport aus der extremen Rechten, so etwa die Weiterleitung zu einem Bild-Beitrag, der die Ungeimpften lobt. Der meistgesehene Post von allen stammt allerdings von MitteldeutschlandTV: ein kryptischer Post zu Impfungen als Biowaffe. Erwähnenswert ist zudem, dass ein Post von Michael Stürzenberger, der am Tag zuvor in Mannheim Opfer eines versuchten Attentats wurde, eine hohe Reichweite erzielte. Darin berichtet er aus dem Krankenhaus von den Verletzungen, die ihm durch den Messerangriff zugefügt wurden. Insgesamt aber zeigt sich die Abnahme von Weiterleitungen auf Telegram auch darin, dass keine Posts Werte über eine halbe Million erzielen wie in der Vergangenheit.

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Die zehn reichweitenstärksten Posts im Zeitraum von Juni 2024 bis August 2024, gestaffelt nach ideologischer Prägung (Erklärung hier).
Bei den besonders reichweitenstarken Posts ist zudem auffällig, dass sie meist von bedrohlichen Lagen und/oder empfundener Repression handeln. Das gilt auch für die Posts, die überperformen, also Reichweiten erzielen, die in einem positiven Missverhältnis zur Followerschaft des Senders stehen. Häufig sind dies Kanäle mit weniger Abonnent*innen, da sie eher mal einen Post machen, der seine Runden über den eigenen Abonnentenkreis hinaus zieht. Diesmal sticht hier Peter Schreiber von den Freien Sachsen heraus, unter anderem mit einer Videobotschaft zu Einschüchterungsversuchen. Aus dem Bereich der pro-russischen Propaganda stammen wiederum Posts zur Verhaftung von Telegram-Chef Durov, die Views über ihre eigentlichen Verhältnisse erzielten. Zu dem Überperformern gehört neben den erfolgreichen Post von MitteldeutschlandTV auch der schon genannte Post von Stürzenberger, der nachvollziehbarerweise mehr als die gewohnte Aufmerksamkeit erhielt. Bemerkenswert ist, dass die zu dieser Zeit anstehenden Wahlen zwar, wie im Themenbereich gezeigt, zwar ein präsentes Thema sind, aber Posts zu diesem keine übermäßige Aufmerksamkeit bekommen.
Zitationsvorschlag: Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Sommer 2024: Drei Wahlen und ein Terrorfall«, in: Machine Against the Rage, Nr. 7, Herbst 2024, DOI: 10.58668/matr/07.1.
Verantwortlich: Christian Donner, Holger Marcks, Harald Sick.
Für tiefere Einblicke in die Netzwerk- und Themenentwicklungen kann unser Prototyp von D-REX+ besucht werden, unser Datenthesaurus zu Rechtsextremismus & Co. im Netz.
- Siehe dazu Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Frühjahr 2024: Politiker*innen im Visier, Europawahl im Fokus«, in: Machine Against the Rage, Nr. 6, Sommer 2024, online hier.
- Siehe dazu z.B. Hans Monath, »Wachsender Einfluss des BSW im Osten: Was bedeutet das für die deutsche Außenpolitik?«, in: Tagesspiegel, 29. Okt. 2024, online hier.
- Siehe »Bundesverwaltungsgericht: Compact-Verbot teils vorläufig außer Vollzug gesetzt«, auf: Tagesschau, 14. Aug. 2024, online hier.
- Siehe dazu etwa »Spahn will Grenzen schließen. Migrationsdebatte wird nach Solingen schärfer«, auf: N-TV, 28. Aug. 2024, online hier.
- Siehe exemplarisch Claudio Casula, »Die Massenmigration und ihre Folgen: Was in Großbritannien passiert, sollte uns eine Warnung sein«, auf: NIUS, 5. Aug. 2024, online hier.
- Siehe dazu Jeffrey Kaplan, »Leaderless Resistance«, in: Terrorism and Political Violence, Nr. 3, Jg. 9 (2008), S. 80–95; sowie David R. Mandel, »The Role of Stochastic Terrorism in Violent Attacks«, in: Perspectives on Terrorism, Nr. 2, Jg. 11 (2017), S. 58–65.
- Ähnlich verhält es sich mit der Debatte über Antisemitismus, wo die Kritik besteht, er würde unter linken Akteuren vernachlässigt; z.T. lautet sie auch, dass er als Brückenideologie gerade im Kontext der Palästina-Solidarität ein Zweckbündnis mit dem Islamismus begründe. Stimmen, die eine Verklärung von Hass im Namen einer vermeintlichen Dekolonisierung problematisiert sehen wollen, mehren sich; siehe exemplarisch Jens Balzer, After Woke, Berlin 2024; oder auch die Auseinandersetzungen in der Linkspartei: Alexander Fröhlich & Anna Thewalt, »Darunter Lederer, Breitenbach und Scheel: Prominente Berliner Linke-Politiker verlassen Partei nach Antisemitismus-Eklat«, in: Tagesspiegel, 23. Okt. 2024, online hier.
- Siehe »Aktionstag gegen Hetze: Bundesweite Razzien wegen Hasspostings«, auf: Tagesschau, 6. Juni 2024, online hier.
- Siehe Julia Smirnova, »SDA-Dokumente: Einblicke in Russlands digitale Desinformationsstrategie« auf: Cemas, 29. Okt. 2024, online hier.
- Sebastian Erb u.a., »Datenleck auf Propaganda-Firma: So flutet Russland das Netz mit Desinformation«, in: Süddeutsche Zeitung, 16. Sept. 2024, online hier.
- Siehe dazu etwa die Kontroverse um Trusted Flaggers in der Rundschau.
- Der Topos von der zu verteidigenden Meinungsfreiheit ist im rechten politischen Diskurs der USA ein zentraler Baustein der Mobilisierung geworden; auch hier wächst mit zunehmenden regulativen Maßnahmen die Bedeutung des Themas.
- So hatten wir im Januar noch ein sehr starkes Hoch beim Posting- und Weiterleitungsverhalten, bedingt durch die Bauernproteste, die im Telegram-Kosmos besonders resonanzfähig waren, z.T. dort mit organisiert wurden. Siehe dazu Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Frühjahr 2024«.
- Wir unterscheiden in unserem System zwischen »gewöhnlichen« Verschwörungsideolog*innen und dem spezielleren, doch recht eigenartigen Verschwörungskult QAnon. Beide Gruppen zusammen bilden das konspirationistische Milieu.
- Siehe dazu Forschungsstelle BAG »Gegen Hass im Netz«, »Sommer 2023: Die neue Web-Ordnung der Demokratiefeinde«, in: Machine Against the Rage, Nr. 4, Herbst 2023, online hier.
- Allerdings ist der Einbruch wenig überraschend. Der Alternativsender ging im August in die Sommerpause. Weniger selbstverständlich hingegen ist, dass der bleibende Sockel höher liegt als bei der Sommerpause im letzten Jahr.
- Um Ordnung in die Masse der zu analysierenden Daten zu bringen, nutzen wir wie gewohnt das Topic-Modelling-Verfahren der latenten Dirichlet-Verteilungen (LDA).
- Bei genauerer Betrachtung des Kanals fallen neben dem üblichen Ampel-Bashing Weiterleitungen und Posts auf, die sich v.a. an vermeintlichen Straftaten von Migrant*innen aufziehen.
- So in einer Telegram-Nachricht vom 16. Aug. 2024 auf dem Kanal.
- Dies könnte nicht nur auf die Aufmerksamkeit für das Magazin rund um das Verbotsverfahren zurückzuführen sein, sondern auch auf sein verändertes Verhalten bei der Telegram-Nutzung. Hatte Compact zuvor Telegram hauptsächlich genutzt, um auf die eigenen Videos zu verlinken, setzt es mit Einsetzen der Repressionsmaßnahmen im Sommer 2024 stärker auf Telegram zur aktiven Kommunikation. Dies verdeutlicht den Charakter Telegrams als Ausweichplattform, die insbesondere dann nochmal an Bedeutung gewinnt, wenn der Zugang zu anderen Plattformen versperrt bleibt.
- Rechtsaußenakteure sind derzeit öfters von solchen Kontenverweigerungen betroffen. So klagt auch Sellner: »Nach mehr als 81 … gesperrten und verweigerten Konten reicht es endgültig. Ich gehe den gewagten Schritt eines Rechtsstreits gegen eine millionenschwere Bank, um mir ein Geschäftskonto zu erklagen« (Nachricht vom 18. Aug. 2024). Für Kontext siehe antifinancialcrime.org gGmbH & Bundesarbeitsgemeinschaft »Gegen Hass im Netz«, Die gesellschaftliche Verantwortung von Finanzunternehmen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus und seiner Unterstützerszenen (2024), online abrufbar hier.